Antje Rávik Strubel hat den diesjährigen Deutschen Buchpreis für den Roman Blaue Frau erhalten, und das ist eine sehr zeitgemäße Entscheidung, weil in diesem Buch sehr bedeutsam und sehr ernsthaft sexualisierte Gewalt zum Thema wird. Es handelt vom Leben der jungen Tschechin Adina, die im Siebengebirge aufwächst, nach Deutschland gerät und auf einem Gut an der Oder von einem international renommierten Kulturfunktionär vergewaltigt wird und die schließlich nach Finnland zieht, wo sie den Gewalttäter zufällig wiedertrifft und eine Anklage in greifbare Nähe rückt – oder aber blutige Rache. Der prämierte Roman ist betont kunstfertig abgefasst und betont souverän im Umgang mit unterschiedlichen Zeitebenen, Handlungsorten und Erzählhaltungen. Er ist auch sehr anspruchsvoll (und dabei etwas unklar) in seinen Referenzen: Kapiteln werden vieldeutige Mottos von George Eliot, Inger Christensen, Octavio Paz und Roland Barthes vorangestellt. Auch Brecht wird, um an einer Stelle die Klimakatastrophe zu veranschaulichen, aufgerufen: "Über Bäume zu sprechen bedeute, über Untaten zu schweigen." Es geht in diesem 432-seitigen Werk um Ausbeutung in prekären Arbeitsverhältnissen, um die Überheblichkeit des Westens gegenüber dem Osten, vor allem aber um männlichen, sexualisierten Machtmissbrauch im Kulturmilieu, der von niemandem ernst genommen wird, was einer Verhöhnung der Opfer gleichkommt.